Die Siedlungskirche in der Wendezeit

85 Jahre Siedlungskirche, 30 Jahre deutsche Wiedervereinigung, 30 Jahre Bundesland Brandenburg! Das sind Jubiläen, die im vergangenen – durch Corona bestimmten – Jahr 2020 nicht so begangen werden konnten, wie es dem Anlass angemessen gewesen wäre. So sollen die historischen Wegmarken wenigstens schriftlich gewürdigt werden. Nachdem die Entstehungsgeschichte der Siedlungskirche an dieser Stelle bereits nachgezeichnet wurde, soll nun im Fortgang beleuchtet werden, wie Pfarrerin Ute Bindemann die Wendezeit um 1989 herum an der Teltower Siedlungskirche erlebt hat.

Thomas Karzek hat sie befragt:

Ute, wann bist Du eigentlich in die Gemeinde gekommen?

Das war 1985. Da war hier in der DDR an eine Wende noch gar nicht zu denken. Genau genommen bin ich damals auf die 2. Pfarrstelle der Gemeinde Teltow, die „Siedlungspfarrstelle“ berufen worden. In der Ritterstraße wohnte Superintendent Kähler, der hatte die erste Pfarrstelle inne. Dann gab es noch Pfarrer Violet, der hauptsächlich in Ruhlsdorf tätig war. Die Siedlungskirche war halb so groß wie heute; den ganzen rechten Flügel, etwa von der heutigen Eingangstür ab, gab es noch gar nicht. Der Glockenturm stand noch frei zur Mahlower Straße hin und die ganze Jugendarbeit fand im Keller des Pfarrhauses in der Feldstraße statt. Da gab es kein Klo und daher turnten die Mitglieder der Jungen Gemeinde abends durch das Haus nach oben. Unser damaliger Kantor mit seiner Familie erinnert sich noch daran…

Wie hattest Du damals das Gemeindeleben „in der Siedlung“ erlebt?

Wir Pfarrer haben uns die Arbeit in der Altstadtgemeinde und der Siedlungsgemeinde gut untereinander aufgeteilt, wobei jeder Gemeindeteil doch einen eigenen Charakter hatte. In der Siedlung war natürlich immer der Kindergarten, aber darüber hinaus hatte die Siedlung lange noch einen eigenen Gemeindekirchenrat, einen eigenen Chor, auch eigene Konfirmationen fanden hier statt. Es gab auch eigene Partnerschaften in den Westen: Während die Altstadtgemeinde die Partnerschaft in das Wiesental im Schwarzwald und später nach England pflegte, wurden wir hier von Partnern aus Wehr besucht und unterstützt. In Westberlin war unser Partner die Kirchengemeinde Zur Heimat in Zehlendorf. Darüber hinaus gab es noch Kontakte nach Den Haag und Groningen in Holland.

Die Siedlungskirche war ein wichtiger Treffpunkt für die Evangelischen von Sigridshorst und Seehof. Die kamen lieber hierher als in die Altstadt. Beide Stadtteile grenzten an Westberlin und die Straßen an der Grenze waren Sperrgebiet, da durfte nicht jeder rein. Ich hatte aber meistens keine Probleme bei Hausbesuchen.

Wie war denn das Verhältnis zur „Obrigkeit“?

Wir Pfarrer haben darauf geachtet, ein gutes Verhältnis zur damaligen Stadtverwaltung zu haben, aber natürlich war die Kirche immer unter Beobachtung. Die Staatsicherheit hatte ja auch Spitzel in die Kirchen eingeschleust. Ich bin einmal in meiner Teltower Zeit zum Verhör nach Potsdam mitgenommen worden, nach einer genehmigten Westreise. Man hatte mir damals meinen Personalausweis weggenommen und mir sogar die Ausreise in den Westen angeboten. Das habe ich aber vehement abgelehnt. Konsistorialpräsident Manfred Stolpe hatte sich damals sehr für uns Kirchenleute eingesetzt.

Und dann kam die Wendezeit?

Ja, es gab in der ganzen DDR eine große Unzufriedenheit, besonders nach der gefälschten Kommunalwahl im Mai 1989. Es gab in vielen ostdeutschen Städten die „Montagsdemonstrationen“ und in vielen Kirchen trafen sich – auch kirchenferne – kritische Leute zu Gottesdiensten und Konzerten. Wie hatten hier in der Siedlung etliche Veranstaltungen mit den führenden Oppositionellen. Ich erinnere mich an Abende mit Freya Klier, Stephan Krawczyk, Bettina Wegner, Pfarrer Rainer Eppelmann, Friedrich Schorlemer, die haben hier in Teltow alle gesungen und gesprochen und diskutiert.

Die Veranstaltungen konnten ungestört stattfinden?

Ja, die Kirche war so etwas wie ein geschützter Raum, aber wir wurden natürlich beobachtet. Ich habe dann immer ‘rausgerufen: „Die Herren mit den Ledermänteln können auch gerne reinkommen…“ Und als das dann in der Wendezeit mit den „Runden Tischen“ überall in der DDR anfing, habe ich auch zu einem Treffen hier in die Siedlung eingeladen, bei dem die Leute aktuelle Fragen und Meinungen austauschen konnten. An diesem Abend hatten wir mit etwa 15 Leuten gerechnet, es kamen aber über 100 in die Siedlungskirche. Die passten alle gar nicht ‘rein.

Was kamen da für Leute?

Ganz unterschiedliche. Natürlich waren da Mitglieder aus dem Gemeindekirchenrat und Leute aus der Gemeinde, aber auch Ärzte, ein Schornsteinfegermeister, Lehrer, Leute aus der Kommunalpolitik – kreuz und quer. Daraus entstand dann der „Runde Tisch“ als laufende Veranstaltung, immer montags, den ich moderiert habe. Das war völliges Neuland, so eine Sache zwischen Gemeinde und Kommune.

Was waren die Themen, die die Menschen bewegten?

Es gab viele Ängste vor dem, was passiert, wenn die Mauer weg ist und „der Westen kommt“: Was passiert mit den Schulen, mit Stasi-Leuten, werden wir nach Zehlendorf eingemeindet? Was passiert mit den Arbeitsplätzen? Die ganzen großen Industriekombinate in Teltow und Stahnsdorf wurden ja platt gemacht! Viele wollten ja auch gar nicht den Anschluss an den Westen, sie wollten lieber eine reformierte, gerechtere DDR. Und dann: Was wird eigentlich mit der Kirche? Bekommt die nun wieder Macht wie im Mittelalter? Also, es waren Gespräche um „Gott und die Welt“ zwischen Aufbruchstimmung und Abbruchstimmung. Aus diesem „Runden Tisch“ ist übrigens nach der Wende die „BIT“, die Bürger-Initiative Teltow, entstanden, die wurde hier in der Siedlungskirche gegründet.

Gab es denn auch Widerstände gegen diese Treffen?

Ja, es gab auch Proteste aus der Gemeinde, besonders gegen die „Wendehälse“ – Menschen, die vor der Wende gegen die Kirche gearbeitet und die Leute drangsaliert haben, und sich nun als Demokraten verstanden. „Wenn Sie die nicht rauswerfen, Frau Pfarrer“, haben sie mir gesagt, „dann gehen wir“. Aber da habe ich nicht mitgemacht. Vom christlichen Standpunkt her geht das nicht. Jesus hat sich auch mit den Zöllnern getroffen!

Vielen Dank für dieses Gespräch.

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